Was kön­nen wir von einer schwarz-gel­ben Koali­tion in NRW erwarten?

Die Ana­lyse des Koali­ti­ons­ver­tra­ges bezieht sich auf fol­gende Poli­tik­be­rei­che: Innere Sicher­heit, Bil­dungs­po­li­tik, Wirt­schafts- und Finanz­po­li­tik, Ener­gie- und Ver­kehrs­po­li­tik sowie Woh­nungs- und Flüchtlingspolitik.

Was kön­nen wir von einer schwarz-gel­ben Koali­tion in NRW erwar­ten?
Armin Laschet wurde am 27. Juni im Land­tag zum Minis­ter­prä­si­den­ten gewählt – als Nach­fol­ger von Han­ne­lore Kraft, deren rot-grüne Regie­rung bei der Land­tags­wahl am 14. Mai abge­wählt wor­den war. CDU und FDP kom­men mit ihren zusam­men 100 von ins­ge­samt 199 Sit­zen im neuen Lan­des­par­la­ment aber nur auf eine hauch­dünne Mehr­heit von einer Stimme.
Inner­halb von nur drei Wochen hat­ten sich CDU und FDP in Nord­rhein-West­fa­len auf einen Koalitionsvertrag1 geei­nigt. Die Ana­lyse des Koali­ti­ons­ver­tra­ges bezieht sich auf fol­gende Poli­tik­be­rei­che: Innere Sicher­heit, Bil­dungs­po­li­tik, Wirt­schafts- und Finanz­po­li­tik, Ener­gie- und Ver­kehrs­po­li­tik sowie Woh­nungs- und Flüchtlingspolitik.

Innere Sicher­heit:

Mit die­sem Poli­tik­be­reich hat ins­be­son­dere die CDU gepunk­tet und die Land­tags­wahl für sich ent­schie­den. Die SPD hat, anstatt sich im wei­tes­ten Sinne auf die „soziale Frage“ zu fokus­sie­ren, sich die­ses Thema im Wahl­kampf auf­zwin­gen las­sen. Daher konnte sie letzt­end­lich ihre defen­sive Posi­tion (Stich­wort „Köl­ner Silvesternacht“) …

wäh­rend des gesam­ten Wahl­kampfs nicht mehr ver­las­sen. Zusätz­lich war der „Schulz-Effekt“ nach zwei ver­lo­re­nen Land­tags­wah­len längst ver­pufft. Zunächst sah es wäh­rend der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen bei der Schlei­er­fahn­dung und dem Aus­bau der Video­über­wa­chung zwi­schen Schwarz-Gelb schwie­rig aus. Ers­tere hatte CDU-Spit­zen­kan­di­dat Armin Laschet zur zen­tra­len For­de­rung sei­nes Wahl­kampfs gemacht. Damit soll­ten Per­so­nen­kon­trol­len auch ohne kon­kre­ten Anlass mög­lich sein genau wie der Aus­bau der Video­über­wa­chung. Die FDP hatte die Schlei­er­fahn­dung und den Aus­bau der Video­über­wa­chung bis­her ausgeschlossen.

Für die CDU war die Ein­füh­rung der Schlei­er­fahn­dung zur bes­se­ren Bekämp­fung der Ein­bruchs­kri­mi­na­li­tät, die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung und mehr Video­über­wa­chung von öffent­li­chen Stra­ßen und Plät­zen neben der Neu­ein­stel­lung von jähr­lich 2.300 Poli­zis­ten und 500 Ver­wal­tungs­kräf­ten beson­ders wich­tig. Die FDP sah eben­falls Bedarf für mehr Poli­zei, sprach sich aber gegen eine anlass­lose und mas­sen­hafte Über­wa­chung aus. Eine Video­über­wa­chung sollte es nur an Kri­mi­na­li­täts­schwer­punk­ten und Gefah­ren­punk­ten geben, an Orten, wo Poli­zei­kräfte auch unver­züg­lich ein­grei­fen können.

Das Ergeb­nis der Ver­hand­lun­gen: Künf­tig sol­len 2300 Poli­zei­an­wär­ter pro Jahr ein­ge­stellt wer­den. Bis­lang waren es 2000. Damit wer­den die Aus­bil­dungs­ka­pa­zi­tä­ten aus­ge­schöpft. Zudem soll die Poli­zei ent­las­tet wer­den: So will Schwarz-Gelb an beam­te­ten Ver­wal­tungs­as­sis­ten­ten fest­hal­ten. Die von Rot-Grün geschaf­fe­nen 350 Stel­len wer­den ent­fris­tet. Künf­tig sol­len 500 pro Jahr hin­zu­kom­men. Die Poli­zei soll auch von soge­nann­ten Baga­tell­auf­ga­ben ent­las­tet wer­den. Bei­spiel: Die so genannte „Ver­kehrs­über­wa­chung ohne Anhal­te­vor­gang“ soll von Kom­mu­nen über­nom­men wer­den kön­nen – also Geschwin­dig­keits­kon­trol­len, bei denen die Fah­rer nicht aus dem Ver­kehr gewun­ken wer­den, son­dern das Knöll­chen per Post zuge­schickt bekommen.

Die ver­dachts­un­ab­hän­gige Kon­trolle durch Poli­zei­strei­fen vor allem in Grenz­nähe wird kom­men, aber nicht Schlei­er­fahn­dung hei­ßen. Weil die­ser Begriff für die FDP ein Reiz­wort ist, wird er im Ver­trag ver­mie­den. CDU-Gene­ral­se­kre­tär Bodo Lött­gen sprach öffent­lich statt­des­sen von „stra­te­gi­scher Fahn­dung». Der Unter­schied ist mar­gi­nal: Vor­aus­set­zung soll auch nur ein vager Anlass­be­zug sein, etwa ein neues Lage­bild zur Ein­bruchs­kri­mi­na­li­tät.
Die fil­mi­sche Beob­ach­tung öffent­li­cher Plätze wird aus­ge­wei­tet. Anders als bis­her darf sie nicht mehr nur an Kri­mi­na­li­täts­schwer­punk­ten ein­ge­setzt werden.

Gefäng­nisse, Gerichte und Staats­an­walt­schaf­ten bekom­men mehr Per­so­nal. Ziel ist, „Straf­tä­ter schnel­ler mit den Fol­gen ihres Han­delns zu kon­fron­tie­ren.“ Die Abschiebe-haft­plätze für Asyl­su­chende wer­den aus­ge­baut. Arnold Pli­ckert, Lan­des­vor­sit­zen­der der Gewerk­schaft der Poli­zei begrüßt diese Ent­wick­lung unum­wun­den: „Bis Ende der Legis­la­tur­pe­ri­ode wer­den wir in NRW 1000 Poli­zis­tin­nen und Poli­zis­ten mehr zur Ver­fü­gung haben als heute. Damit kön­nen wir nicht nur neue Kri­mi­na­li­täts­for­men wirk­sam bekämp­fen, son­dern end­lich auch mehr Prä­senz auf der Straße zei­gen. CDU und FDP wol­len der Poli­zei zudem mehr Rechte geben, um Tat­ver­däch­tige anhal­ten und über­prü­fen zu kön­nen. Das hat uns bis­her bei der Bekämp­fung von Ein­bre­cher­ban­den, aber auch bei der Ver­fol­gung von Rausch­gift­de­lik­ten und Orga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät und bei der Ver­hin­de­rung von ille­ga­ler Ein­reise gefehlt.“

Fazit: Soviel zur angeb­li­chen Bür­ger­rechts­par­tei FDP. CDU, FDP und Poli­zei lie­gen fak­tisch sehr dicht bei­ein­an­der. Das Thema innere Sicher­heit wird dazu genutzt, den Weg in Rich­tung auto­ri­tä­rem Über­wa­chungs­staat wei­ter fort­zu­set­zen.
Bil­dungs­po­li­tik:
Bei der Reform des Turbo-Abiturs sind sich die bei­den Par­teien einig. Die CDU will die Gym­na­sien ent­schei­den las­sen, ob sie das Abitur nach acht oder nach neun Jah­ren anbie­ten und hatte sich damit nach eini­gem Zögern schon vor der Wahl dem FDP-Modell ange­schlos­sen. CDU und FDP pla­nen die weit­ge­hende Rück­kehr zum Abitur nach neun Jah­ren. Die Gym­na­sien dür­fen auch wei­ter das „Turbo-Abitur“ anbie­ten, müs­sen dazu aber einen noch nicht defi­nier­ten Ver­wal­tungs­vor­gang aus­lö­sen.
Einig sind sich CDU und FDP auch beim Thema Inklu­sion. Beide Par­teien wol­len vor­erst keine wei­te­ren För­der­schu­len für Kin­der mit beson­de­ren Bedürf­nis­sen schlie­ßen. Die Inklu­sion soll lang­sa­mer umge­setzt wer­den. Der Rest­be­stand an För­der­schu­len soll min­des­tens so lange erhal­ten blei­ben, bis die Regel­schu­len aus­rei­chend auf die Auf­nahme von behin­der­ten Kin­dern vor­be­rei­tet sind. Für die Lan­des­vor­sit­zende der Gewerk­schaft Erzie­hung und Wis­sen­schaft (GEW), Doro­thea Schä­fer, ist dies keine Lösung: „Der Schlie­ßungs­stopp könnte sich als Bume­rang erwei­sen.“ Wenn kleine För­der­schu­len wei­ter­ma­chen dürf­ten, müss­ten auch Son­der­päd­ago­gen von den Regel­schu­len abge­zo­gen wer­den. Alter­na­tiv wären daher umso mehr Son­der­päd­ago­gen ein­zu­stel­len.
Leh­rer­ver­bände und Gewerk­schaf­ten kri­ti­sie­ren seit Jah­ren, dass die Besol­dung von Leh­rern in Grund­schu­len gerin­ger ist als an Gym­na­sien. Das gelte vor allem für Rek­to­ren und Kon­rek­to­ren. Durch die Flücht­lings­krise und die hohen Anfor­de­run­gen der Inklu­sion – dort feh­len Fach­kräfte – habe sich das Pro­blem noch deut­lich ver­schärft. In die­ser Hin­sicht ist von der schwarz-gel­ben Koali­tion keine Ver­bes­se­rung der Situa­tion an den Schu­len zu erwar­ten. Noch­mal Doro­thea Schä­fer, Lan­des­vor­sit­zende der GEW: „Wir sind sehr ent­täuscht über die Leer­stel­len im Ver­trag. Dass die Ankün­di­gun­gen im Wahl­kampf, die Besol­dung der Leh­re­rin­nen und Leh­rer gerecht und ver­fas­sungs­ge­mäß zu gestal­ten, kei­nen Wider­hall im Koali­ti­ons­ver­trag gefun­den haben, ist unver­ständ­lich.“
Fazit: Hier sind wir gemein­sam mit den Gewerk­schaf­ten und den Arbei­ter­ju­gend- sowie Schü­ler- Orga­ni­sa­tio­nen auf­ge­ru­fen, der neuen Lan­des­re­gie­rung mit einer Neu­auf­lage der „Bil­dungs­streiks“ eine ent­spre­chende Ant­wort zu geben.
Das Modell­vor­ha­ben „Kein Kind zurück­las­sen“ soll abge­schafft, Kin­der­ar­mut statt­des­sen mit einem brei­te­ren Ansatz bekämpft wer­den. Heinz Hil­gers, Prä­si­dent des Deut­schen Kin­der­schutz­bund warnt: „Nur mit Wirt­schafts­po­li­tik wird man Kin­der­ar­mut nicht bekämp­fen kön­nen. Von den 2,7 Mil­lio­nen Kin­dern in Armut in Deutsch­land haben bei einer Mil­lion Kin­dern die Eltern keine Arbeit. Bei 600.000 Müt­tern und Vätern han­delt es sich um ver­fes­tigte Arbeits­lo­sig­keit, die nur mit Hilfs­pro­gram­men in den Arbeits­markt zurück­fin­den. In den übri­gen Fami­lien haben die Eltern Arbeit, ver­die­nen aber zu wenig, um alle Kin­der ver­sor­gen zu kön­nen. In die­sen Fäl­len kann nur die Bun­des­po­li­tik mit einer ande­ren Fami­li­en­för­de­rung zum Bei­spiel mit einer Kin­der­grund­si­che­rung hel­fen. Wenn nun die För­de­rung für das Pro­gramm ‚Kein Kind zurück­las­sen’ aus­läuft, setze ich dar­auf, dass die Kom­mu­nen es auch ohne Unter­stüt­zung wei­ter­füh­ren. Wir müs­sen bei der Bekämp­fung der Kin­der­ar­mut wei­ter­ma­chen.“ Der Ver­band will Bei­trags­frei­heit von Kita bis Schule. Schwarz-Gelb hin­ge­gen will es dabei belas­sen, dass in den Kitas nur das dritte Jahr bei­trags­frei sein soll.
Die neue Regie­rung will ein Paket schnü­ren, um die Finanz­not vie­ler Kita-Trä­ger zu bekämp­fen. Die jähr­li­chen Pau­scha­len pro Kind sol­len stei­gen. Zuletzt sind Per­so­nal- und Betriebs­kos­ten stär­ker gestie­gen als die Kind­pau­scha­len. Die Öff­nungs­zei­ten der Kitas sol­len ver­län­gert wer­den. Um Erzie­hern mehr Zeit zu geben, soll die Bil­dungs­do­ku­men­ta­tion, ein Bericht über die Kin­des­ent­wick­lung, ver­ein­facht wer­den. Was das bedeu­tet, habe ich bereits in mei­nem Refe­rat zur Arbei­ter­ju­gend deut­lich gemacht.2
Hoch­schu­len
Einig sind sich CDU und FDP darin, dass das Hoch­schul­ge­setz kom­plett über­ar­bei­tet wird. Stark beschränkt wer­den sol­len die von Rot-Grün ein­ge­führ­ten Durch­griffs­rechte des Minis­te­ri­ums auf die Hoch­schu­len. Zudem wer­den die Digi­ta­li­sie­rung und Ver­net­zung der Hoch­schu­len aus­ge­baut und die Stu­di­en­ord­nun­gen «an die Lebens­wirk­lich­keit der Stu­den­ten ange­passt», wie ein Teil­neh­mer sagte. So soll allein­er­zie­hen­den Müt­tern mehr Spiel­raum beim Zeit­punkt der Prü­fun­gen ermög­licht wer­den, grö­ßere Teile des Stu­di­ums sol­len vom hei­mi­schen PC aus absol­viert wer­den kön­nen.
All­ge­meine Stu­di­en­ge­büh­ren wer­den nicht ein­ge­führt. Aus­schließ­lich Nicht-EU-Aus­län­der sol­len 1.500 Euro pro Semes­ter zah­len. Die Hoch­schu­len könn­ten dadurch auf mitt­lere Sicht bis zu 100 Mil­lio­nen Euro pro Jahr ein­neh­men. Ein wei­te­res Indiz für die Ver­ab­schie­dung von der so hoch geprie­se­nen „Will­kom­mens­kul­tur“ in unse­rem Land und ein Hin­wen­den zum Rechts­po­pu­lis­mus à la AfD.
Das Deut­sche Stu­den­ten­werk hat Stu­di­en­ge­büh­ren schon mehr­fach kri­ti­siert. Sie seien „der fal­sche Weg zu einer aus­kömm­li­chen Hoch­schul­fi­nan­zie­rung“. Und wei­ter: „Das ist die Ver­ant­wor­tung des Staa­tes, nicht der Stu­die­ren­den.“ Sozi­al­ver­träg­lich gestal­tete Stu­di­en­ge­büh­ren, die an den Hoch­schu­len zur Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät und Kapa­zi­tät der Lehre ein­ge­setzt wer­den, indes seien sinn­voll, meint Axel Plünne­cke vom „Insti­tut der deut­schen Wirt­schaft“: „Hoch­schul­ab­sol­ven­ten ver­die­nen spä­ter im Durch­schnitt deut­lich höhere Ein­kom­men als andere Per­so­nen­grup­pen. Daher kön­nen sie auch nach­lau­fende Stu­di­en­ge­büh­ren – in Höhe von 500 Euro pro Semes­ter – selbst tra­gen, wenn sie spä­ter ent­spre­chend höhere Ein­kom­men erzie­len.“ Das Geld könnte dann wie­der dem Bil­dungs­sys­tem zugu­te­kom­men.
Dem Land­arzt­man­gel will Schwarz-Gelb mit einer Quote abhel­fen: Zehn Pro­zent der Medi­zin­stu­di­en­plätze gehen an Stu­die­rende, die sich ver­pflich­ten, eine Zeit lang auf dem Land zu arbei­ten. Dafür soll deren Nume­rus-Clau­sus abge­senkt wer­den.
Wirt­schafts­po­li­tik
Das wirt­schaft­li­che Poten­zial des bevöl­ke­rungs­reichs­ten Lan­des der Repu­blik wird nicht aus­ge­schöpft, darin sind sich CDU und FDP einig. Fast ein Fünf­tel der Bevöl­ke­rung gilt als armuts­ge­fähr­det, die Wirt­schaft hinkt ande­ren Bun­des­län­dern hin­ter­her. Daher wird die Digi­ta­li­sie­rung als neue „Wun­der­waffe“ pro­pa­giert.
Bis 2025 soll NRW mit schnel­len Daten­über­tra­gungs­net­zen aus­ge­stat­tet wer­den. Daran sol­len alle Schu­len und Gewer­be­ge­biete ange­schlos­sen wer­den. CDU und FDP wol­len NRW damit zu einem füh­ren­den Stand­ort der moder­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie machen. Für das Giga­bit-Netz­werk ver­an­schla­gen die Koali­ti­ons­part­ner sie­ben Mil­li­ar­den Euro an Bundes‑, Lan­des- und EU-Mit­teln. Anders als Rot-Grün legen sie sich nicht auf Glas­fa­ser fest, son­dern las­sen die Tech­no­lo­gie offen. Geplant ist, in einem Minis­te­rium, in einem Bür­ger­amt und in eini­gen Kom­mu­nen zu zei­gen, wie wei­test­ge­hend digi­tal gear­bei­tet wer­den kann. Ein Digi­tal­mi­nis­te­rium wird es wohl nicht geben. Wahr­schein­li­cher ist, dass das Wirt­schafts­mi­nis­te­rium zu einer Art Minis­te­rium für Wirt­schaft und Digi­ta­les auf­ge­rüs­tet wird. Der Aus­bau des schnel­len Inter­nets soll beschleu­nigt wer­den. „Wir wol­len NRW bis 2025 flä­chen­de­ckend mit Giga­bit-Netz­wer­ken ver­sor­gen“, sagt Mar­cel Hafke (FDP), „zunächst gilt in NRW ‹Glas­fa­ser first› und nicht das Auf­rüs­ten alter Kup­fer­ka­bel.“
Fest steht für beide Par­teien: Die Neu­ver­schul­dung des Lan­des muss bis 2020 auf null sin­ken. Ihnen bleibe wegen der ver­ord­ne­ten Schul­den­bremse keine andere Wahl. Das Credo heißt also spa­ren und gleich­zei­tig Wege fin­den, wirt­schaft­li­che Anreize zu schaf­fen. Ein­spar­po­ten­zial sehen die Libe­ra­len beim Tarif­treue­ge­setz, das bei der Ver­gabe öffent­li­cher Auf­träge tarif­li­che Min­dest­stan­dards regelt. Zu viel büro­kra­ti­scher Auf­wand, zu wenig Ertrag für den Bür­ger, lau­tet die Kri­tik der FDP. Auch die CDU will den büro­kra­ti­schen Auf­wand abbauen. Damit wer­den, ganz im Sinne der geplan­ten „Frei­han­dels­ab­kom­men“, Min­dest­stan­dards wei­ter abge­baut und erkämpfte Arbeit­neh­mer­rechte wei­ter ein­ge­schränkt.
Künf­tig sol­len Geschäfte in Innen­städ­ten an acht statt bis­her vier Sonn­ta­gen im Jahr öff­nen. Damit soll der Han­del der Online­kon­kur­renz bes­ser Paroli bie­ten kön­nen. Die Gewerk­schaft Verdi kri­ti­siert die Pläne als fami­li­en­feind­lich und unso­zial.
Finanz­po­li­tik
Mehr Wirt­schafts­wachs­tum, die Aus­ga­ben begren­zen, Steuer-Mehr­ein­nah­men und Min­der­aus­ga­ben durch sin­kende Ein­woh­ner­zah­len zur Schul­den­til­gung nut­zen. So will die CDU die Schul­den­bremse ab 2020 ein­hal­ten, die Neu­ver­schul­dung sen­ken und den Schul­den­berg abtra­gen. Wenn mehr Geld in Bil­dung und Inno­va­tion gesteckt werde, müsse das an ande­rer Stelle ein­ge­spart wer­den. Die FDP sieht das ähn­lich: Der Lan­des­rech­nungs­hof soll ab 2017 einen Bericht „Moni­to­ring Schul­den­bremse“ her­aus­ge­ben. Ver­stöße gegen die Schul­den­bremse sol­len Sank­tio­nen nach sich zie­hen.
Dem Bund der Steu­er­zah­ler NRW geht dies nicht weit genug. Heinz Wirz, des­sen Lan­des­vor­sit­zen­der erklärte: „Wir ver­mis­sen ver­bind­li­che Aus­sa­gen zur Haus­halts- und Finanz­po­li­tik. Für den Lan­des­haus­halt mit einem Volu­men von der­zeit 72,7 Mil­li­ar­den Euro bedarf es zukünf­tig einer Aus­ga­ben­be­gren­zung ohne Neu­ver­schu­lung bei Abbau der Alt­schul­den. Dafür muss die Schul­den­bremse zwin­gend in der Lan­des­ver­fas­sung ver­an­kert wer­den. Sich ledig­lich zur Ein­hal­tung der Schul­den­bremse zu beken­nen, ist lapi­dar.“ Zudem müsse der Ver­schwen­dung von Steu­er­gel­dern Ein­halt gebo­ten wer­den. Bei Bau­vor­ha­ben sei im Haus­halts­ge­setz ver­an­kert, dass vor einer Ent­schei­dung durch die Poli­tik eine Wirt­schaft­lich­keits­be­rech­nung vor­ge­legt wird.
Fazit: Hier wird mit der inzwi­schen im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten „Schul­den­bremse“ eine wei­tere Ver­schär­fung der Austeri­täts­po­li­tik gegen die abhän­gig Beschäf­tig­ten, Arbeits­lo­sen und sons­ti­gen Emp­fän­ger von staat­li­chen Trans­fer­leis­tun­gen vor­an­ge­trie­ben.
Hin­ter der Über­schrift Büro­kra­tie­ab­bau ver­birgt sich das Ziel, zen­trale Regie­rungs­pro­jekte von Rot-Grün rück­ab­zu­wi­ckeln. So hat die FDP hat im Wahl­kampf ein „Ent­fes­se­lungs­ge­setz“ ange­kün­digt. Ziel ist es, die „Über­re­gu­lie­rung“ abzu­bauen, die Rot-Grün aus Sicht der Libe­ra­len mit dem Tarif­treue- und Ver­ga­be­ge­setz ein­ge­führt hatte. Danach konn­ten öffent­li­che Auf­träge nur noch an Unter­neh­men ver­ge­ben wer­den, die bestimmte Sozi­al­stan­dards, Umwelt­schutz­kri­te­rien und Maß­nah­men zur Frauen- und Fami­li­en­för­de­rung nach­wei­sen konn­ten. Vor allem kleine Fir­men sahen sich angeb­lich mit den stren­gen Auf­la­gen über­for­dert. Auch die CDU setzt auf Büro­kra­tie­ab­bau. So sol­len umständ­li­che Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren aus dem Lan­des­ent­wick­lungs­plan ent­fernt wer­den, die – laut CDU – Fir­men bis­lang davon abge­hal­ten haben, in NRW zu inves­tie­ren.
Nicht nur der Unter­neh­mer­ver­band Hand­werk NRW begrüßt diese Pläne. Haupt­ge­schäfts-füh­rer Frank Wackers: „In den ver­gan­ge­nen sie­ben Jah­ren sind viele Rege­lun­gen in Kraft getre­ten, die den Betrie­ben das Leben erschwert haben. Dazu zählt auch die Ein­füh­rung der Hygiene-Ampel für Lebens­mit­tel­hand­werk und Gas­tro­no­mie.“ Und Tho­mas Rick, Inha­ber des Düs­sel­dor­fer IT-Unter­neh­mens Beh­rens & Schul­eit und Chef des Lan­des­ver­bands der Fami­li­en­un­ter­neh­mer ergänzt: „Für uns als Unter­neh­mer ist es beson­ders wich­tig, dass das Tarif­treue- und Ver­gabe-Gesetz nun grund­le­gend refor­miert oder am bes­ten abge­schafft wird. Auch mein Unter­neh­men hat wegen die­ses Geset­zes schon man­chen Auf­trag ver­lo­ren.“
Fazit: Auch hier wird mit dem Vehi­kel Büro­kra­tie­ab­bau Hand an bis­he­rige Stan­dards im Bereich des Arbeits‑, Umwelt‑, Fami­lien- und Lebens­mit­tel­rechts ange­legt: Neo­li­be­ra­lis­mus pur.
Nicht nur nach Ansicht von CDU und FDP fällt der Bau-und Lie­gen­schafts­be­trieb (BLB) des Lan­des NRW bereits seit Jah­ren regel­mä­ßig mit erheb­li­chen Bau­kos­ten- und Bau­zeit­über­schrei­tun­gen auf. „Offen­kun­dig grei­fen die bis­he­ri­gen Maß­nah­men der Lan­des­re­gie­rung bis­lang nicht, um beim BLB zu einer soli­den und bestands­kräf­ti­gen Kos­ten­kal­ku­la­tion zu kom­men. Der BLB wird immer mehr zum Seri­en­tä­ter für Fehl­kal­ku­la­tio­nen und Miss­ma­nage­ment, was auch vom Lan­des­rech­nungs­hof seit Jah­ren bemän­gelt wird. Wir erneu­ern daher unsere For­de­rung, vor Bau­be­ginn belast­bare Leis­tungs­be­schrei­bun­gen und Kos­ten­be­rech­nun­gen vor­zu­neh­men und diese dann auch ver­bind­lich ein­zu­hal­ten. Wenn der lan­des­ei­gene BLB dazu nicht in der Lage ist, soll­ten öffent­li­che Bau­leis­tun­gen an Unter­neh­men im Markt ver­ge­ben wer­den, die sich ver­trag­lich zur Kos­ten­ein­hal­tung ver­pflich­ten.“, so der Frak­ti­ons­vor­sit­zende und haus­halts­po­li­ti­sche Spre­cher der FDP-Land­tags­frak­tion Ralf Wit­zel am 13. März 2017. Daher beab­sich­ti­gen die neuen Koali­tio­näre, den Ver­wal­tungs­rat mit soge­nann­ten „Fach­leu­ten“ anzu­rei­chern anstatt die öffent­lich geför­derte Kor­rup­tion zu bekämp­fen, also den Pri­va­ti­sie­rungs­kurs noch wei­ter zu verschärfen.3
Der jet­zige Hebe­satz der Gewer­be­steuer soll gede­ckelt wer­den, um die NRW-Kom­mu­nen als Wirt­schafts­stand­orte attrak­ti­ver zu machen. Anstatt den Kom­mu­nen durch eine lokale Anhe­bung der Gewer­be­steuer die Mög­lich­keit zu geben, eigene Mit­tel für die Kom­mu­nal­haus­halte zu akqui­rie­ren, beschränkt die neue Lan­des­re­gie­rung diese Option durch die Decke­lung des Hebe­sat­zes. Sie setzt damit die Kom­mu­nen einer zusätz­li­chen Kon­kur­renz­si­tua­tion zuguns­ten der Unter­neh­men aus, die einen neuen Stand­ort suchen und so die Kom­mu­nen gegen­ein­an­der aus­spie­len kön­nen. Die Folge: Die Ein­nah­me­si­tua­tion der Kom­mu­nen ins­ge­samt ver­schlech­tert sich weiter.

Ener­gie­po­li­tik
Den Kli­ma­schutz­plan, der eine Ver­rin­ge­rung der CO2-Emis­sio­nen zum Ziel hat, wol­len CDU und FDP abschaf­fen. Zudem pla­nen sie Ein­schnitte beim Aus­bau der Wind­kraft. Der Min­dest­ab­stand zu Sied­lun­gen soll bei 1.500 Metern lie­gen. Damit ver­rin­gern sich die für Anla­gen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Flä­chen um 80 Pro­zent. Kri­tik kommt von Wirt­schafts-for­schern: „Die Pläne sind erstaun­lich rück­wärts­ge­wandt, ins­be­son­dere die Beschrän­kung der Wind­kraft. Es wirkt, als ob sich die neue Lan­des­re­gie­rung der Braun­kohle und dem Atom­zeit­al­ter ver­pflich­tet fühlt», sagt Gus­tav A. Horn, wis­sen­schaft­li­cher Direk­tor des gewerk­schafts­na­hen Insti­tuts für Makro­öko­no­mie und Kon­junk­tur­for­schung (IMK). Und Michael Schä­fer, Fach­be­reichs­lei­ter Kli­ma­schutz und Ener­gie­po­li­tik beim WWF Deutsch­land, ergänzt: „CDU und FDP neh­men mit ihrem Koali­ti­ons­ver­trag dem Bun­des­land die Chance, beim Kli­ma­schutz und Aus­bau der Erneu­er­ba­ren auf­zu­ho­len. Not­wen­dig ist nun ein Kli­ma­schutz­ge­setz auf Bun­des­ebene, das die­sen Namen wert ist.“ Für den Bund für Umwelt- und Natur­schutz hat NRW einen gro­ßen Nach­hol­be­darf beim Aus­bau der erneu­er­ba­ren Ener­gien, der sich an den inter­na­tio­na­len Kli­ma­zie­len ori­en­tie­ren müsse. Das bevöl­ke­rungs­reichste Bun­des­land habe längst den Anschluss ver­lo­ren.
Ver­kehrs­po­li­tik
Mit einer Sechs-Tage-Woche auf Bau­stel­len, einem lan­des­weit ein­heit­li­chen, digi­ta­len Ticket­sys­tem für den Nah­ver­kehr und der Ein­füh­rung eines Azubi-Tickets wol­len CDU und FDP die Staus bekämp­fen. Die Koali­tion will einen Vor­rat an durch­ge­plan­ten Bau­vor­ha­ben in Höhe von einer Mil­li­arde Euro anle­gen. Das Land soll zu jeder Zeit in der Lage sein, sämt­li­ches Geld aus dem Finan­zie­rungs­topf für den Bau von Bun­des­fern­stra­ßen abzu­schöp­fen. Sie will über­dies öffent­lich-pri­vate Part­ner­schaf­ten ermög­li­chen. Außer­dem ver­spricht sie sich weni­ger Staus durch ein pro­fes­sio­nel­les Bau­stel­len­ma­nage­ment.
1,1 Mil­li­ar­den Euro hat Stra­ßen NRW 2016 ver­baut, 2017 sol­len es noch ein­mal 130 Mil­lio­nen Euro mehr sein. Der Lan­des­be­trieb Stra­ßen NRW sucht aber hän­de­rin­gend Inge­nieure, sagt des­sen Direk­to­rin Elfriede Sau­er­wein-Brak­siek: „Wir brau­chen 100 pro Jahr, aber die sind schwer zu fin­den.“ Sie seien erfor­der­lich, um die not­wen­di­gen pla­ne­ri­schen Vor­ar­bei­ten leis­ten zu kön­nen, damit NRW nicht wie­der Gefahr laufe, vor­han­de­nes Geld nicht abru­fen zu kön­nen.
Zudem will Schwarz-Gelb die Pla­nungs­ka­pa­zi­tä­ten des Lan­des erhö­hen, um mehr Infra­struk­tur-För­der­geld aus Ber­lin erhal­ten zu kön­nen. Dabei sol­len die Lan­des-bediens­te­ten sich stär­ker auf die Pro­jekt­steue­rung kon­zen­trie­ren, wäh­rend die eigent­li­che Pla­nung in grö­ße­rem Umfang als bis­lang künf­tig an pri­vate Fir­men ver­ge­ben wer­den soll. Die von Rot-Grün zuletzt dis­ku­tierte Erwei­te­rung der Kla­ge­mög­lich­kei­ten von Natur­schutz­ver­bän­den gegen Infra­struk­tur-Pro­jekte ist vom Tisch.
Fazit: Es fällt auf, das im Rah­men der Ver­kehrs­po­li­tik aus­schließ­lich über die Stau­pro­ble­ma­tik und den Stra­ßen­ver­kehr gespro­chen wurde. Zukunfts­pro­jekte, wie bei­spiels­weise der gebüh­ren­freie Aus­bau des ÖPNV und die Ver­la­ge­rung des Güter­ver­kehrs auf die Schiene spiel­ten dabei keine Rolle. CDU und FDP sind sich einig, dass der Fahr­rad­ver­kehr gestärkt wer­den soll. Dabei geht es aus­schließ­lich um „Pres­ti­ge­pro­jekte“: Die Pläne für eine 101 Kilo­me­ter lange Fahr­rad­au­to­bahn von Duis­burg bis Hamm will Schwarz-Gelb umset­zen und offen­bar auch Pläne für wei­tere Rad­schnell­wege erar­bei­ten las­sen. NRW soll „Takt­ge­ber“ für Elek­tro- und Hybrid­an­triebe wer­den und eine Test­stre­cke für selbst­fah­rende Autos im inner­städ­ti­schen Betrieb erhal­ten. Das ent­spre­chende Wis­sen sei etwa an der RWTH Aachen, in Ost­west­fa­len-Lippe sowie Uni­ver­si­tä­ten des Ruhr­ge­biets bereits vor­han­den, müsse aber bes­ser ver­netzt werden.

Woh­nungs­po­li­tik
Auch hier lie­gen CDU und FDP auf einer Linie. Die FDP wollte die Miet­preis­bremse sofort außer Kraft set­zen. Die CDU sah die Miet­preis­bremse zwar auch skep­tisch, wollte sie aber nicht abschaf­fen. „Sie kann bes­ten­falls einen zeit­lich befris­te­ten posi­ti­ven Effekt aus­lö­sen“, heißt es im Wahl­pro­gramm. Nun wurde im Koali­ti­ons­ver­trag fest­ge­legt: „… wer­den wir die Kap­pungs­gren­zen­ver­ord­nung und die Miet­preis­be­gren­zungs­ver­ord­nung auf­he­ben.“ Vage sind die Aus­sa­gen um Woh­nungs­man­gel in den Bal­lungs­räu­men. Man wolle vor Ort Kon­zepte ent­wi­ckeln, „um das Ange­bot an bezahl­ba­rem Wohn­raum zu erhö­hen.“ Bei der Grund­er­werb­steuer sol­len Fami­lien ent­las­tet wer­den. Über eine Bun­des­rats­in­itia­tive will Schwarz-Gelb einen Frei­be­trag von 250.000 Euro pro Per­son durch­set­zen, für Kin­der eine zusätz­li­che Summe. Die Kom­mu­nen sol­len mehr Ent­schei­dungs­frei­hei­ten bekom­men, etwa bei der Aus­wei­sung von Wohn- und Gewer­be­ge­bie­ten. Prio­ri­tät soll der Neu­bau von Woh­nun­gen in Bal­lungs­räu­men bekom­men. Die Koali­tio­näre gehen davon aus, dass allein durch den Zuzug von Flücht­lin­gen 200.000 Woh­nun­gen feh­len. Über Erlasse auf Lan­des­ebene und eine Bun­des­rats­in­itia­tive soll dafür die jüngste Ener­gie­spar­ver­ord­nung (EnEV) des Bun­des abge­schwächt wer­den. Ins­be­son­dere Bau­her­ren sehen in den stren­gen Auf­la­gen ein Hemm­nis für Woh­nungs­bau-Inves­ti­tio­nen im unte­ren und mitt­le­ren Preis­seg­ment.
Hans-Jochem Witzke, Lan­des­vor­sit­zen­der des Deut­schen Mie­ter­bunds kom­men­tiert den Koali­ti­ons­ver­trag zu die­sem Punkt fol­gen­der­ma­ßen: „Ange­sichts der jetzt schon ange­spann­ten Lage auf den Woh­nungs­märk­ten in NRW, in fast allen Metro­po­len, setzt der Koali­ti­ons­ver­trag einen abso­lut fal­schen Schwer­punkt. Immer noch fehlt es an bezahl­ba­ren Miet­woh­nun­gen. Für Men­schen mit nied­ri­gen und mitt­le­ren Ein­kom­men ist es an gefrag­ten Stand­or­ten fast unmög­lich eine Woh­nung zu fin­den. Auf diese Ent­wick­lung reagiert die neue Lan­des­re­gie­rung para­do­xer­weise damit, dass sie Mie­ter­inter­es­sen ein­schränkt, indem sie ankün­digt, sämt­li­che, dar­auf abzie­lende Ver­ord­nun­gen zum Schutz vor über­zo­ge­nen Mie­ten zu strei­chen. Statt­des­sen setzt die neue Regie­rung ver­stärkt auf den Aus­bau der Eigen­tums­för­de­rung. Ange­sichts der wei­ter­hin anhal­ten­den Nied­rig­zins­phase ist diese Schwer­punkt­set­zung mehr als frag­wür­dig.“
Auch die Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rin und Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete aus NRW, Bar­bara Hendricks (SPD) fin­det deut­li­che Worte: „Mit dem Koali­ti­ons­ver­trag in NRW legen CDU und FDP die Axt an die Mie­ter­rechte. Die gefor­derte Abschaf­fung der Miet­preis­bremse und der Kap­pungs­gren­zen sind eine Rolle rück­wärts beim Mie­ter­recht. Gerade in ange­spann­ten Woh­nungs­märk­ten müs­sen wir die Mie­te­rin­nen und Mie­ter vor stei­gen­den Mie­ten schüt­zen. Was CDU und FDP abge­lie­fert haben, ist alter Wein in neuen Schläu­chen. Die FDP hat sich mit ihrer alten Leier des ‚pri­vat vor Staat‘ durch­ge­setzt, mit der sie dem sozia­len Woh­nungs­bau schon in der Ver­gan­gen­heit den Gar­aus gemacht hat. Wir hin­ge­gen wol­len, dass sich auch Men­schen mit klei­nem und mitt­le­rem Geld­beu­tel eine Woh­nung leis­ten kön­nen. Der pri­vate Woh­nungs­markt gibt die­sen Wohn­raum aber kaum noch her. Wir brau­chen einen leis­tungs­fä­hi­gen sozia­len Woh­nungs­markt für die­je­ni­gen, die bei pri­va­ten Inves­to­ren durchs Ras­ter fal­len. Es ist zu befürch­ten, dass Schwarz-Gelb dem sozia­len Woh­nungs­bau den Hahn abdreht.“
Fazit: Gerade in der Frage des Woh­nungs­baus, ins­be­son­dere in der Bereit­stel­lung von bezahl­ba­rem Wohn­raum für alle, gibt es zahl­rei­che Initia­ti­ven gegen die städ­ti­schen Kür­zun­gen im sozia­len und kul­tu­rel­len Bereich und gegen Pri­va­ti­sie­run­gen. Die Arbeit in die­sen Initia­ti­ven sollte genutzt wer­den, um offen­siv dafür ein­zu­tre­ten, dass die Kom­mu­nen gesetz­lich ver­pflich­tet wer­den, im Rah­men des Neu­baus von Woh­nun­gen feste Pro­zent­zah­len miet­preis­ge­bun­de­nen Wohn­raums zur Ver­fü­gung zu stel­len. In Frank­reich liegt die gesetz­li­che Quote zur Zeit noch bei 25%.

Flücht­lings­po­li­tik
CDU und FDP wol­len fest­schrei­ben, dass das Land die Flücht­lings­hil­fen des Bun­des anders als unter Rot-Grün voll an die Kom­mu­nen wei­ter­lei­tet. Die These, Flücht­linge könn­ten Eng­pässe auf dem deut­schen Arbeits­markt in grö­ße­rem Umfang aus­glei­chen, leh­nen CDU und FDP ab. Beide sehen das Thema „Arbeits­markt“ getrennt vom Thema „Asyl“. Beide wol­len sich für die Ein­stu­fung der soge­nann­ten Maghreb-Staa­ten Tune­sien, Alge­rien und Marokko als sichere Her­kunfts­staa­ten ein­set­zen und ver­spre­chen sich davon eine Ent­las­tung der Kom­mu­nen, weil Flücht­linge aus die­sen Län­dern als beson­ders pro­ble­ma­tisch gel­ten. Gemein­sam mit Bür­ger­initia­ti­ven und Wohl­fahrts­ver­bän­den sol­len „inno­va­tive Pro­jekte“ zur frei­wil­li­gen Rück­kehr ent­wi­ckelt wer­den.
Rot-Grün hatte finanz­stär­kere Kom­mu­nen dazu ver­pflich­tet, mit­tels Kom­mu­nal­soli einen Aus­gleich für schwä­chere Gemein­den zu zah­len. Schwarz-Gelb will die­ses Instru­ment kip­pen. FDP-Chef Chris­tian Lind­ner beteu­ert, keine Kom­mune werde künf­tig schlech­ter gestellt. Ent­las­tet wer­den sol­len die Kom­mu­nen beim Umgang mit Flücht­lin­gen ohne Blei­be­per­spek­tive. Sie sol­len mög­lichst in den Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen des Lan­des blei­ben.
Die FDP will neben dem im Grund­ge­setz ver­an­ker­ten Asyl­recht einen eige­nen Rechts­sta­tus für Kriegs­flücht­linge ein­füh­ren. Asyl­su­chende ohne Blei­be­per­spek­tive sol­len erst gar nicht auf die Kom­mu­nen ver­teilt wer­den, Bund und Land Vor­aus­set­zun­gen für schnel­lere Abschie­bun­gen schaf­fen. Die FDP for­dert ein Ein­wan­de­rungs­recht, in dem zwi­schen Ein­wan­de­rern, Asyl­be­wer­bern und Flücht­lin­gen unter­schie­den wird.
Pro Asyl übt Kri­tik am Gesetz­ent­wurf „zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht“, durch das Deutsch­land vom Auf­nah­me­land zum Abschie­be­land umge­baut werde. Das löse das Flücht­lings­pro­blem nicht.
Bereits am 10. März 2016 mel­dete die Zeit: „Der Plan der Bun­des­re­gie­rung, Alge­rien, Tune­sien und Marokko als sichere Län­der ein­zu­stu­fen, ist vor­erst geschei­tert. Im Bun­des­rat stimm­ten Grüne und Linke dage­gen.“ Mit einer Ein­stu­fung von Alge­rien, Tune­sien und Marokko als sichere Her­kunfts­staa­ten könn­ten die Asyl­ver­fah­ren von Men­schen aus die­sen Län­dern beschleu­nigt behan­delt und Rück­füh­run­gen schnel­ler durch­ge­führt wer­den. Schon jetzt wer­den die meis­ten Men­schen aus den Maghreb-Staa­ten nicht aner­kannt: Im ver­gan­ge­nen Jahr wur­den nur 3,8 Pro­zent der von Marok­ka­nern gestell­ten Asyl­an­träge aner­kannt, bei Tune­si­ern lag die Quote bei 0,8 Pro­zent und bei Men­schen aus Alge­rien bei 2,7 Pro­zent.
Den­noch hat es die künf­tige Koali­tion mit der Frage der Maghreb-Staa­ten als sichere Her­kunfts­staa­ten eilig, da sich im Bun­des­rat die Mehr­heits­ver­hält­nisse inzwi­schen dra­ma­tisch ver­än­dert haben. Für eine Stim­men­mehr­heit von 35 Stim­men reicht es immer noch nicht, den­noch brin­gen es die Lan­des­re­gie­run­gen mit CDU-Betei­li­gung inzwi­schen immer­hin auf 26 Stim­men, mit dem grün-schwarz regier­ten Baden-Würt­tem­berg und dem schwarz-grün regier­ten Hes­sen sowie der Ampel­ko­ali­tion in Sach­sen-Anhalt sogar auf 41 Stim­men im Bundesrat.4
Fazit: Beide Par­teien tra­gen die Linie der Bun­des­re­gie­rung mit Asyl­rechts­be­schrän­kun­gen, Abschie­bun­gen und Fes­ti­gung der Außen­gren­zen, die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­tion aus­zu­he­beln sowie NRW als Flücht­lings­be­reich inner­halb der Bun­des­re­pu­blik „unat­trak­tiv“ zu machen.
In wes­sen Inter­esse diese Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung getrof­fen wurde macht das fol­gende Zitat von Andreas Ehlert, Prä­si­dent von Hand­werk NRW deut­lich:
„Die neue Lan­des­re­gie­rung stellt die Wirt­schafts­po­li­tik in den Mit­tel­punkt ihres Regie­rungs­pro­gramms – ein über­fäl­li­ger Prio­ri­tä­ten­wech­sel. Die­ser wird nicht zuletzt am vor­ge­se­he­nen erwei­ter­ten Kom­pe­tenz­rah­men für das zustän­dige Fach­mi­nis­te­rium erkenn­bar. Der Koali­ti­ons­ver­trag atmet den Wil­len, den lan­des­ty­pi­schen Hang zu Über­nor­mie­rung und büro­kra­ti­scher Gän­ge­lung zu über­win­den und mehr Frei­heit und indi­vi­du­el­len Gestal­tungs­raum ent­ge­gen­zu­set­zen. Hand­wer­ker wol­len sich um ihre Kun­den und um inno­va­tive Pro­dukte und Dienst­leis­tun­gen küm­mern und nicht gegen einen Pran­ger ankämp­fen oder Zer­ti­fi­ka­ten nach­lau­fen.“
Resü­mee:
Es han­delt sich bei der neuen Lan­des­re­gie­rung um ein wei­te­res Pro­jekt des neo­li­be­ra­len Popu­lis­mus. Er umfasst zwei Kom­po­nen­ten:
Die erste besteht darin, die Wahr­heit des Kapi­tals, näm­lich, dass die wirt­schaft­li­chen Ent­schei­dun­gen – Schul­den­bremse, Büro­kra­tie­ab­bau und die damit ein­her­ge­hen­den Austeri­täts­pro­gramme usw. – alter­na­tiv­los seien, durch­zu­set­zen. Sie gibt dem Wäh­ler damit zu ver­ste­hen, dass er nicht gefragt wird, dass er keine Ahnung hat (s. die Beru­fung soge­nann­ter „Fach­leute“ in Exper­ten­kom­mis­sio­nen) und dass man aus ratio­na­len Grün­den nicht anders hätte ent­schei­den kön­nen. Im Gegen­satz dazu beruft sich der Rechts­po­pu­lis­mus à la AfD auf den ver­meint­lich wah­ren Wil­len des Vol­kes oder der der Nation. Die „Wahr­heits­in­stanz“ des neo­li­be­ra­len Popu­lis­mus ist hin­ge­gen das Wol­len der öko­no­mi­schen Kräfte.
Die zweite Kom­po­nente die­ses neo­li­be­ra­len Popu­lis­mus besteht darin, sich stän­dig auf die Moral zu beru­fen. Alle ursprüng­lich huma­nis­ti­schen Werte wie Gleich­be­rech­ti­gung, Würde des Men­schen usw. wer­den kom­plett ver­ein­nahmt und zur Aura der poli­ti­schen Aus­sage gemacht.
Dabei wird ver­ges­sen, dass die in Anspruch genom­me­nen libe­ra­len mora­li­schen Werte in ihr Gegen­teil ver­kehrt wer­den, wenn sie in einer durch und durch neo­li­be­ral ver­fass­ten Gesell­schaft gelebt wer­den sol­len. Auf diese Weise wird im „libe­ra­len“ Gewand sogar dem Rechts­po­pu­lis­mus, bei­spiels­weise in der Flücht­lings­po­li­tik, Rech­nung getra­gen. In die­sem Zusam­men­hang ist die Ein­zig­ar­tig­keit des Sub­jekts nicht mehr die Vor­aus­set­zung für indi­vi­du­el­les Lebens­glück, son­dern für eine gestei­gerte Form der Aus­beu­tung.
Wolf­gang Rei­ni­cke-Abel, Liège u. Köln 01.07.2017