Der erste Gefährder

Dunkle Gestalten mit Regenschirmen.

Staats­schutz
benutzt PAG

Nürn­ber­ger Kom­mu­nist darf sein Kind nicht sehen

Der erste Gefähr­der Bay­erns heißt Clau­dio K. Er ist Betriebs­rat, Gewerk­schaf­ter und Kom­mu­nist. Die Poli­zei ver­haf­tete Clau­dio am 9. Juni auf der Demons­tra­tion gegen den AfD-Lan­des­par­tei­tag in Nürn­berg. Der Vor­wurf: Er soll bei einer Ran­ge­lei der Poli­zei mit dem Schwar­zen Block einen Beam­ten mit einer Fah­nen­stange geschla­gen haben, so zumin­dest die Aus­sage zweier USK-Beam­ter. Die Poli­zei ermit­telt seit­dem gegen ihn wegen «schwe­rer Kör­per­ver­let­zung». Zeu­gen bestä­ti­gen, dass Clau­dio wäh­rend der gan­zen Demons­tra­tion die Tech­nik auf dem Laut­spre­cher­wa­gen des Nürn­ber­ger Jugend­bünd­nis­ses betreute, der sich nicht mal in der Nähe des Schwar­zen Blocks befand. Trotz­dem ent­zog das Jugend­amt Clau­dio das Umgangs­recht zu sei­nem 5‑jährigen Kind.

Gegen Ende der Demons­tra­tion näher­ten sich zwei Poli­zei­trupps von vorne und hin­ten dem SDAJ-Block und zogen Clau­dio gezielt aus der Menge. Auf die Frage, warum er jetzt vor­läu­fig fest­ge­nom­men werde, hieß es nur, das werde er auf der Wache erfah­ren. Dort musste Clau­dio gut eine Drei­vier­tel­stunde lang auf dem Gang ste­hen, durfte sich nicht set­zen, trin­ken oder aus­tre­ten. Erst als er dem dienst­ha­ben­den Beam­ten drohte, er werde sehr viel zu put­zen haben, durfte Clau­dio die Toi­lette benut­zen. Danach begann das Ver­hör, ein Kripo-Beam­ter belehrte ihn und teilte ihm die Anschul­di­gung der schwe­ren Kör­per­ver­let­zung mit. Clau­dio ver­wei­gerte die Aus­sage. Dann setzte ein Beam­ter des Lan­des­kri­mi­nal­am­tes (LKA) Bay­ern die Befra­gung fort. Er eröff­nete Clau­dio, dass dem LKA seine SDAJ-Mit­glied­schaft bekannt sei. Er solle davon ein biss­chen erzäh­len, wer zum Bei­spiel in der SDAJ Lei­tungs­funk­tio­nen inne­habe. Wenn sich er koope­ra­tiv zeige, dann könne man ihm das posi­tiv anrech­nen. Clau­dio ver­langte dar­auf­hin einen Anwalt, was ihm ver­wei­gert wurde. Eine Drei­vier­tel­stunde dau­erte die Befra­gung noch, Clau­dio schwieg. Wäh­rend des Ver­hörs meinte der LKA-Beamte zu ihm, dass man wisse, er Betriebs­rat sei, ein Kind habe und es doch schade wäre, wenn es da Pro­bleme gäbe.

Eine Woche nach dem Ver­hör mel­dete sich ein Mit­ar­bei­ter des Jugend­am­tes bei Clau­dio und teilte ihm mit, sie hät­ten Kennt­nis von den Ermitt­lun­gen gegen ihn wegen schwe­rer Kör­per­ver­let­zung bekom­men und unter­sag­ten ihm des­we­gen den Umgang mit sei­nem Kind, dazu rei­che der Ver­dacht auf eine Gewalt­tat aus. Davor war das Kind alle zwei Wochen bei ihm.

Nach dem Ver­hör wurde Clau­dio ohne seine Ein­wil­li­gung erken­nungs­dienst­lich behan­delt und ohne anwe­sen­den Arzt eine DNA-Probe genom­men. Zwei Wochen spä­ter erhielt Clau­dio ein Schrei­ben vom LKA Bay­ern, in dem ihm mit­ge­teilt wurde, dass er jetzt als gewalt­be­rei­ter Links­extre­mist geführt und über­wacht werde. Dies bestä­tigte sich kurz dar­auf bei einer Anti-Pegida-Demons­tra­tion: Clau­dio trug einen der schwar­zen Regen­schirme mit sich, die die Gewerk­schaft ver.di zuvor ver­teilt hatte. Die Poli­zei zog ihn aus der Demons­tra­tion her­aus und stellte seine Per­so­na­lien fest, da ein Regen­schirm «ein gefähr­li­cher Gegen­stand» sei. Einen Tag spä­ter, auf einer Demons­tra­tion gegen zu hohe Mie­ten, ver­folg­ten ihn zwei Zivil­po­li­zis­ten. Selbst als er nach der Abschluss­kund­ge­bung in einem Nürn­ber­ger Sze­ne­lo­kal etwas aß, war­te­ten die Beam­ten vor dem Lokal auf ihn und beglei­te­ten ihn im Abstand von zehn Metern zur nächs­ten U‑Bahnstation.

Die Nürn­ber­ger Staats­an­walt­schaft lässt Clau­dios Anwalt nicht die Akten ein­se­hen. Seit knapp zwei Mona­ten ermit­telt die Nürn­ber­ger Poli­zei im Fall Clau­dio. Auf eine Anfrage des «Bay­ri­schen Rund­funks» gab die Poli­zei an, dass die Ermitt­lun­gen und Maß­nah­men gegen Clau­dio im Rah­men des neuen Poli­zei­auf­ga­ben­ge­set­zes (PAG) statt­fin­den und somit recht­mä­ßig seien. Mit dem PAG kön­nen soge­nannte Gefähr­der ohne rich­ter­li­che Anwei­sung über­wacht werden.

Clau­dio ver­mu­tet, dass der Grund für die Repres­sion gegen ihn in sei­ner Ver­gan­gen­heit liegt. Er war sie­ben Jahre lang in der SPD aktiv, bis er zum Nürn­ber­ger Jugend­bünd­nis kam, die SDAJ ken­nen­lernte, aus der SPD aus- und in die SDAJ und DKP ein­trat. Wäh­rend sei­ner Zeit bei der SPD hatte er eine wich­tige Par­tei­funk­tion inne und musste ver­schie­dene Ver­schwie­gen­heits­er­klä­run­gen zu Vor­gän­gen und Per­so­nen unter­zeich­nen. Jetzt befürchte der Staats­schutz wohl, dass er sich an sein Ver­spre­chen nicht mehr halte.

Chris­toph Hent­schel
UZ vom 10. August 2018


Clau­dio K. ist Betriebs­rat in einem Gal­va­nik-Betrieb mit acht Beschäf­tig­ten in Nürn­berg. Da er und seine Kol­le­gen wegen der guten Auf­trags­lage bis zu 65 Stun­den in der Woche arbei­ten muss­ten, for­der­ten sie von ihrem Chef, wei­tere Arbeits­kräfte ein­zu­stel­len. Im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zung grün­de­ten Clau­dio und seine Kol­le­gen einen Betriebs­rat, seine Kol­le­gen wähl­ten ihn. Der Betriebs­rat setzte sich durch: Es wur­den wei­tere Ein­stel­lun­gen vor­ge­nom­men und der Betrieb über­nimmt keine Auf­träge aus der Rüs­tungs­in­dus­trie mehr, die zuvor rund 20 Pro­zent der Auf­träge ausmachten.


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