Köln, 8. Mai 2015, Gedenken am Mahnmal für die Opfer der Gestapo

„Köln stellt sich quer“ gedachte der Befreiung am ihrem 70. Jahrestag. 200 Menschen trafen sich am Kölner Mahnmal für die Opfer der Gestapo, Hansaring/Ecke Kyotostraße, unweit des des Klingelpütz-Geländes. Im Aufruf heißt es:
Der 8. Mai ist ein Tag der Besinnung gegen das Vergessen - er ist ein Tag des Gedenkens an die vielen Millionen Toten in der Sowjetunion, Europa, Afrika und in Asien. Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Homo- und Transsexuelle, Kranke und behinderte Menschen, Menschen mit religiösen Hintergrund, die sogenannten „Asozialen“, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter wurden verfolgt, gequält und ermordet. In den letzten Jahren wurde der 8. Mai auch zu einem Tag der Erinnerung – an die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, an die NSU-Morde und an Anschläge und die gewalttätigen Aufmärsche von extrem rechten Kräften.

Fotos von Klaus Stein

Am Schluß diees Beitrages ist die Rede Wolfgang von Uellenberg van Dawen zu lesen.


Gerade in diesem Jahr, der PEGIDA/KÖGIDA-Demonstrationen und der Morde in Paris ist es wichtig, ein deutliches Zeichen zu setzen und den 70. Jahrestag des Tages der Befreiung zu begehen als Tag für Toleranz, Menschenrechte und Menschenwürde.
Das Bündnis „Köln stellt sich quer“ erinnert daran, dass Geflüchteten aus Deutschland zwischen 1933 und 1945 in vielen Ländern Asyl gewährt wurde. Deshalb ist es heute wichtig, das Leben der Flüchtlinge, die versuchen über das Meer nach Europa zu kommen, zu retten und sie menschenwürdig unterzubringen. Es gilt die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, willkommen zu heißen und ihnen eine Chance zu geben, gemeinsam mit uns zu leben, zu lernen, zu arbeiten und die Gesellschaft zu gestalten.
Der 8. Mai fordert Gedenken und gleichzeitig unser Engagement gegen Rassismus und eine Spaltung der Gesellschaft - für Freiheit und Vielfalt!
Gabriele Metzner sprach für die Initiative „Keupstraße ist überall“ über das Gewährenlassen des rechten Terrors und den Skandal der jahrelangen Ermittlungen gegen die Opfer.
Dr. Wolfgang Uellenberg van Dawen, Historiker, bis 2008 der Kölner DGB-Vorsitzende,  kam ebenfalls sofort auf die Gegenwart zu sprechen: „die sowjetischen Befreier galten Jahrzehntelang weiterhin als Feinde. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges schienen diese Feindbilder verschwunden zu sein. Es ist erschreckend wie schnell sie jedoch im aktuellen Konflikt im Osten der Ukraine wieder reaktiviert werden und an den Stammtischen und in Redaktionsstuben und Kasernen der Russe wieder der Feind ist.“
Wolfgang Deckart, Klarinette, Michael Kellner, Gitarre, musizierten. Vladimir Worobejtschik und Eva Aras vom Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd rezitierten Gedichte.

 

Die Rede Wolfgang von Uellenberg van Dawen

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter
Der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung vom Faschismus. Befreit wurden Europa und wurden die Deutschen von den Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee, der USA, Großbritanniens, Frankreichs und vieler anderer Länder. Von der Befreiung zu sprechen, galt in der DDR von Anfang an als eine Selbstverständlichkeit. In Westdeutschland wurde erst 40 Jahre danach diese Selbstverständlichkeit durch Bundespräsident von Weizsäcker ausgesprochen.
Dankbar war die westdeutsche Öffentlichkeit gegenüber den westlichen Alliierten – die sowjetischen Befreier galten Jahrzehntelang weiterhin als Feinde. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges schienen diese Feindbilder verschwunden zu sein.
Es ist erschreckend wie schnell sie jedoch im aktuellen Konflikt im Osten der Ukraine wieder reaktiviert werden und an den Stammtischen und in Redaktionsstuben und Kasernen der Russe wieder der Feind ist. Wenn wir nicht in die Denke und die Rhetorik vergangener Jahrzehnte zurückfallen wollen, dann kann es nur die Konsequenz des differenzierten Denkens und Urteilens und vor allem die Empathie mit allen Opfern jenes sinnlosen Machtkonfliktes im Osten Europas geben. Dann gibt es nur unser Engagement für einen fairen Frieden und die Abrüstung der Worte und der Waffen. Europa muss unser gemeinsames Haus bleiben.
Die Faschisten waren von Anfang an die geschworenen Feinde der Demokratie. Sie bekämpften die Arbeiterbewegung, liberale wie christlich soziale Parteien, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, viele einfache Menschen, die sich ihnen widersetzten. Sie untergruben die Demokratie, verspotteten die demokratischen Parteien, beschimpfte kritische Medien als Lügenpresse. Mit Unterstützung führender Kreise und Eliten kamen Hitler und seine Schergen an die Macht und viele, die Gegner des Faschismus waren oder von den Faschisten zu Feinden erklärt wurden, fielen den Henkern zum Opfer. Das Dritte Reich war eine Gewaltherrschaft, ein Unrechtsstaat im wahrsten Sinne des Wortes.
Eine Demokratie ohne Demokraten, darf es in Deutschland niemals wieder geben. Demokratisches Engagement, harte Konflikte, Widerstreit der Meinungen, Widerspruch und zivilgesellschaftlicher Widerstand sind legitim und notwendig. Und wir dürfen bei aller Kritik an manchen Erscheinungen realer Politik weder undemokratisches Wutbürgertum noch eine schleichende Entpolitisierung des Öffentlichen hinnehmen. Nur das tägliche Engagement für eine lebendige Demokratie, für unverzichtbare und unveräußerliche Freiheitsrechte, für eine wirksame Kontrolle des Staates und eine aktive Zivilgesellschaft bewahrt vor autoritärer und diktatorischer Herrschaft.
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
Mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht brach das verbrecherischste und menschenfeindlichste Regime unserer Geschichte zusammen. Lang geschürter Antisemitismus und tief verwurzelter Antisemitismus hat den Weg zu dem Menschheitsverbrechen der Shoah geebnet. Das muss auf immer in unsere Erinnerung eingebrannt bleiben und uns verpflichten mit aller Entschiedenheit gegen jede Form des Antisemitismus zu kämpfen.
„Unwertes Leben“ – mit diesem Unwort aus dem Lexikon des absolut Bösen rechtfertigten die Naziverbrecher die Ermordung von Sinti und Roma, von Homosexuellen, von Menschen, die sie als undeutsch klassifizierten, von Behinderten und Kranken, von Millionen Menschen in Polen, in der Sowjetunion, in Griechenland, im ehemaligen Jugoslawien, in Frankreich und wo immer das Dritte Reich seine Schreckensherrschaft errichtete.
Unwertes Leben – das ist die Zuspitzung des Rassismus, der Ideologie von der natürlichen Ungleichheit von Menschen. Millionen Opfer mahnen uns gegen diese Ideologie in jeglicher Form vorzugehen, sie zu entlarven, sie in jeglicher Form ob platt, ob als Stammtisch Parole oder streng wissenschaftlich getarntes Werk zu bekämpfen. Alle Menschen sind als gleiche geboren und haben das gleiche Recht auf ein Leben in Würde. Jedes Leben ist es wert, anerkannt, geachtet und geschützt zu werden.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde
Über diesem siebzigsten Jahrestag der Befreiung liegt ein tiefer Schatten: die Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes der NSU. Welches Denken, welche Feindbilder leiteten deutsche Ermittler als sie die Angehörigen der Opfer des NSU als mögliche Täter verdächtigten? Warum wurden mit seltener Hartnäckigkeit alle diese Morde als Konflikte zwischen Migranten eingestuft? Warum schwiegen und verschweigen bis heute Ermittlungs-und Sicherheitsbehörden ihre Fehlverhalten und warum wurden die Spuren in die rechtsextreme Szene so weit verwischt, sodass immer neue Untersuchungsausschüsse von den Parlamenten bemüht werden müssen?
Der Historiker Norbert Frei hat Hitlers Eliten in der Bundesrepublik nachgezeichnet. Nachdem sie vor den alliierten Gerichten davon gekommen waren, nachdem die Entnazifizierung als ein Selbstreinigungsprozess der Deutschen schon in den Anfängen steckengeblieben war wandelten sich jene Förderer und Helfershelfer der Nazis in Wehrmacht, Justiz, Polizei, Verwaltung, Medien, im Sozial wie im Gesundheitswesen und an den Universitäten sich zu treuen Demokraten und harten Antikommunisten. Sie besetzten erneut viele Führungspositionen der zweiten deutschen Republik. Kein einziger jener furchtbaren Juristen der Nazi Zeit wurde zur Rechenschaft gezogen.
Bis in die sechziger Jahre dauerte es, bis mutige Strafverfolger die KZ Wächter auf die Anklagebank brachten. Mehrmals musste der Bundestag über die Nichtverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mord abstimmen. Bis in dieses Jahrzehnt dauerte es, ehe die obersten Behörden und die Justiz ihre damalige Verwicklung in die Verbrechen der Diktatur offen legen. Wie lange muss die Demokratisierung der Demokratie noch dauern bis autoritäres und undemokratisches Denken aus Amtsstuben und Gerichtssälen endgültig verbannt sind?
Wie eine braune Unterströmung durchzieht bis heute Antisemitismus, Rassismus aber auch die morbide Faszination des Nationalsozialismus unsere Gesellschaft. Die alten Nazis sind tot, die jungen und neuen treten immer offener, immer aggressiver auf – im Osten wie im Westen Deutschlands. Sie sind eine Gefahr für uns, für unsere Demokratie. Sie glauben, die Meinung schweigender Mehrheiten in die Tat umsetzen zu müssen. Nein – es sind keine schweigenden Mehrheiten aber starke und verblendete Minderheiten.
Vor siebzig Jahren sahen sich viele der befreiten und doch besiegten Deutschen auf einmal als Opfer. Sie hungerten und hatten Angst, Angst sich vor den Siegern rechtfertigen zu müssen, Angst auch vor denen, die sich 12 lange Jahre unterdrückt hatten. Und so flüchteten sie aus der eigenen Verantwortung, aus der eigenen Geschichte in den Mythos der Stunde Null. Es waren Hitler und seine verbrecherische Clique, die für alles verantwortlich gemacht wurden oder noch schlimmer – es waren nur die SS und der Führer soll ja angeblich von allem nichts gewusst haben. Diese Flucht aus der Verantwortung gelang, weil sie zugleich die Flucht in die Kunst des Überlebens in der Not der Nachkriegsjahre und in die Geschäftigkeit des Wiederaufbaus und am Ende in die Fresswelle des Wirtschaftswunders war.
Hannah Arendt beschrieb bei einem Besuch in Deutschland 1950 diese neue deutsche Mentalität.
„Wenn man die Deutschen beobachtet, wie sie geschäftig durch die Ruinen eines Jahrtausends ihrer eigenen Geschichte stolpern, die Schultern über die zerstörte Landschaft zucken oder es einem verübeln, wenn man sie an die Schreckenstaten erinnert, von denen die ganze umliegende Welt heimgesucht wurde, dann erkennt man langsam, dass ihre Geschäftigkeit zur Hauptverteidigung gegen die Wirklichkeit geworden ist.“
Liebe Freundinnen und Freunde
Der Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft gelang trotz aller Hemmnisse und Fehlentwicklungen vor allem den Deutschen, die diese Befreiung ersehnt, für die sie im Widerstand gekämpft und gelitten hatten. Sie wollten nach 1945 Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von Grund auf erneuern:
Es gab damals einen breiten antifaschistischen und demokratischen Konsens. Aus der Befreiung sollten eine neue freiheitliche Gesellschaft und eine umfassende Demokratisierung von Gesellschaft und Staat folgen. Er reichte bis in unser Grundgesetz. Es dauerte jedoch Jahre, bis aus der politischen Mehrheit, die das Grundgesetz schuf, eine Mehrheit in unserer Gesellschaft wurde, die seine Werte akzeptierte. Eine umfassende Überwindung des Kapitalismus blieb im Kalten Krieg stecken.
Auch in unserer Stadt entstand trotz aller Widerstände eine lebendige Demokratie geprägt von vielen eigenwilligen und aufrechten Frauen und Männern.
Erinnert sei an Oberbürgermeister wie Robert Görlinger, Theo Burauen, Max Leo Schwering. Erinnert sei an Hans Böckler, der den DGB gründete, an Willi Schirrmacher, der aus dem KZ zurückgekehrt, die Arbeiterwohlfahrt aufbaute, an Willi Eichler und Susanne Miller, die die Programmatik der Nachkriegs SPD prägten. Erinnert sei an die Kommunistin, Friedensaktivistin und Schauspielerin Trude Herr, an den kommunistischen Widerstandskämpfer Heinz Humbach, an Jakob Kaiser, den Gründer der christlich sozialen Bewegung, an die Lyrikerin Hilde Domin, den Publizisten Ralph Giordano und den Soziologen Alfons Silbermann und viele andere.
In der Zeit der Herrschaft des Faschismus verfasste der Philosoph und Kulturwissenschaftler Ernst Bloch sein monumentales Werk – das Prinzip Hoffnung. Während der Weltkrieg tobte und das Massenmorden stattfand, suchte er nach den Anzeichen und Spuren, nach den Utopien und Entwicklungslinien einer besseren Welt. In der Einleitung heißt es:
„Denken heißt Überschreiten. So jedoch, dass Vorhandenes nicht unterschlagen, nicht überschlagen wird. Deshalb geht wirkliches Überschreiten auch nie ins bloß Luftleere eines Vor-uns, bloß schwärmend, bloß abstrakt ausmalend. Sondern es begreift das Neue als eines, das im bewegt Vorhandenen vermittelt ist, ob es gleich, um freigelegt zu werden, aufs Äußerste den Willen zu ihm verlangt.“
Dieses Prinzip Hoffnung, das neue in der Gegenwart zu erkennen und daraus für die Zukunft zu wirken, motivierte trotz aller Hemmnisse seitdem soziale und demokratische Bewegungen.
Den Willen zu einer menschlichen, friedlichen, sozialen und demokratischen Gesellschaft haben wir nicht aufgegeben:
Wir haben den Willen und die Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen, ihnen Schutz zu gewähren und ihnen ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen. Wir nehmen Teil an einer Welle der Menschlichkeit, wie sie niemand so vermutet hätte.
Und gegen mancher Ängste und Vorbehalten plädiere ich dafür, die Mauern der Festung Europa einzureißen und Menschen, die Schutz suchen, eine sichere Einreise zu ermöglichen.
Bei aller Verzweiflung über Krieg und Bürgerkriege, Terror und Gewalt, müssen wir weiterhin den Willen haben und uns engagieren, für eine wirksame Bekämpfung von Fluchtursachen und die weltweite Achtung der Menschenrechte.
Gegen alle Vorurteile wollen wir eine multikulturelle Gesellschaft und ein Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Kulturen. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Diese Erkenntnis sollte mittlerweile Allgemeingut sein und wir engagieren uns dafür, dass dies sich auch in den Gesetzen und vor allem in der gleichberechtigten Teilhabe von Migrantinnen und Migranten in dieser Gesellschaft verwirklicht.
In der Not einer immer tiefer sich spaltenden Gesellschaft engagieren wir uns dafür, soziale Gegensätze abzubauen, für Zusammenhalt zu sorgen, Armut zu bekämpfen und für ein gutes Leben für alle einzutreten. Es gilt nicht mehr der Satz jede Arbeit ist besser als keine sondern die Forderung nach einer guten Arbeit, nach einer guten Bildung und einem guten Leben.
Als noch vor wenige Monaten in diesem Lande eine neoliberale wie rechtspopulistische Partei in die Parlamente gewählt wurde, als gar ein rechtspopulistische und rechtsextreme Bürgerbewegung in Dresden und anderswo ihre menschenfeindlichen Parolen skandierte, da erhoben sich überall die schweigenden Mehrheiten und stellten sich überall quer.
Es gehört zur Tragik der Befreiung, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen bis zuletzt für das faschistische Regime gekämpft und es unterstützt hat. Aber es ist ein Glück und das Verdienst unzähliger engagierter Menschen, dass es in diesem Lande dauerhafte und mobilisierbare Mehrheiten für eine demokratische Gesellschaft gibt, die sich die Worte Bert Brechts zu eigen machen:

1. Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

2. Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

3. Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

4. Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das Liebsten mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.


Quelle: „Köln stellt sich quer“

Dr. Wolfgang Uellenberg-van Dawen war von 2001 bis 2008 Vorsitzender der DGB Region Köln und  ist seit November 2008 Leiter der Abteilung „Politik und Planung“ beim Ver.di-Bundesvorstand.