Kommunalpolitisches Seminar mit Shuttle-Service

Seminarist*innen. Einer liest vor, sechs hören andächtig zu.

DKP Köln zu Gast in Lüttich


28./29. September 2019. Gern hätten wir uns des Hotels Lion in Jalhay und seiner Wirtin Madame Scolard, ihrer Kochkünste und gut gekühlten Biere bedient. Wir haben häufig dort getagt. Aber das schön gelegene Hotel ist verkauft. Folglich nutzt Wolfgang seine reichhaltigen Verbindungen für einige organisatorische Purzelbäume in Lüttich. Auch das Postscriptum im Ablaufplan wird erfüllt: «Zwischen den unterschiedlichen Tagungsorten wird – trotz fußläufiger Distanzen – ein Shuttle-Service zur Verfügung gestellt.»


Die Zusage der Parti du travail de Belgique (PTB) für einen Tagungsraum kommt, aber sie kommt zu spät. Das liegt wohl an der Belastung durch ihr Pressefest, der Manifiesta, das am Wochenende zuvor zu bewältigen war. Wir tagen infolgedessen woanders, nämlich im Ladenlokal der Initiative «Fin du Nucléaire» im Stadtteil Outremeuse sowie im «Centre Julien Lahaut» der Parti Communiste (PCB). Übernachten können wir in der Jugendherberge, die einst als Rekollektenkloster einer strengen Fraktion des Franziskanerordens diente und heute mit schicker Architektur aufwartet. Im Kreuzgang steht ein Kicker.


Zunächst beschäftigen wir uns mit der Kommunalpolitik der PTB in Lüttich. Raoul Hedebouw und Sophie Lecron informieren uns. Wolfgang hat den Text übersetzt. Die Themen der PTB sind Armutsbekämpfung, Recht auf Wohnen, freier öffentlicher Nahverkehr, eine Energiegenossenschaft, Erhaltung von Grünflächen, aber auch die Halbierung des Bürgermeistergehalts sowie ein Ethik- und Transparenzbüro. Da gibt es bei uns Nachfragen. Seit den 80er Jahren werden zunehmend Sparmaßnahmen von der Bundesregierung in die Gemeinden durchgedrückt. So führt die von den Rechtsparteien auf Bundesebene im Jahr 2015 beschlossene Reform der Steuerverlagerung zu geringeren Einnahmen für die Stadt Lüttich. Raoul Hedebouw hat diese Zahlen erfragt: Die Verluste kumulierten sich auf insgesamt 11 Millionen Euro. Die PTB stellt regelmäßig Anträge, die sich gegen die Sparmaßnahmen richten.


Die PTB ist erfolgreich. Am 14. Oktober vergangenen Jahres wurde sie zur drittgrößten politischen Kraft in der Stadt Lüttich. Mit 16.081 Stimmen und 16,32% der Stimmen gewann sie 9 Sitze in La Violette, wie der Stadtrat in Lüttich heißt.


Mittags ist das vietnamesische Restaurant nebenan schon besetzt. Ersatzweise begeben wir uns an den Maas-Kai, ins knuffige Café Lequet. Eine glückliche Wahl. Die meisten nehmen Bulletten («boulets») mit einer süßen Soße, dazu Pommes von lebendigen Kartoffeln. Ayfer hat ebenfalls einen guten Griff getan, als sie Kalbsnieren in Senfsoße bestellt.


In fußläufiger Nähe liegt das Centre Julien Lahaut. Der Genosse Lahaut war während der deutschen Besatzung Belgiens in den Jahren 1940 bis 1944 Vorsitzender der KP, Führer des Streiks der 100.000 im Mai 1941, dann Häftling zunächst in der Zitadelle von Huy, später in den KZ von Neuengamme und Mauthausen, aus dem er 1945 befreit wurde. Nach dem Krieg stellte sich die «Königsfrage», zumal Leopold III. eine mehr als zwielichtige Rolle im Verhältnis zur faschistischen Besatzung gespielt hatte. Die Debatte war von Generalstreiks und Demonstrationen begleitet. Es ging um die Monarchie selbst. Mehrheitlich votierten Flamen für sie, Wallonen mehrheitlich dagegen. Leopold III. verzichtete schließlich auf den Thron zugunsten seines Sohnes. Am 11. August 1950 legte Baudouin vor den Kammern seinen Eid ab. Noch ehe er den Mund auftat, ertönte aus der Ecke der Kommunisten der Schrei «Vive la République!», der Julien Lahaut zum Verhängnis wurde. Lahaut starb am 18. August, ermordet von radikalen Royalisten, deren Identität bis heute geheim gehalten wird. Lahauts Sarg folgten über 300.000 Menschen. Regelmäßig finden am aufwendig gestalteten Grabmal Gedenkfeiern statt.


Im Centre Julien Lahaut werden wir von den Genossen begrüßt, unter ihnen ist der Politische Sekretär der PCB in Liège, Julien Hanotte, ein junger Lehrer, der – und das gibt einen Hinweis auf die politischen Umgangsformen der belgischen Arbeiterparteien - von der PTB für Platz 3 der Liste des Lütticher Regionalparlaments bei der Wahl vom 26. Mai aufgestellt worden ist.


Wir setzen unser Seminar fort. Wolfgang und Klaus referieren nacheinander über die globale polit-ökonomische und Kölner haushaltspolitische Situation. Für Maria ist die große Menge von unübersichtlichen Zahlen Anlass zur Frage, was denn wohl eine Billion sei. Eine Billion hat drei Nullen mehr als eine Milliarde, sie entspricht also Eintausend Milliarden. Der Weltschuldenberg beträgt 246,5 Billionen Dollar, das sind 323 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, also mehr als die Welt in drei Jahren an Werten produziert. Dieser Schuldenberg wird nicht abgebaut, sondern wächst.


Und es mehren sich die Hinweise auf einen bevorstehenden Crash. Anleger werden angesichts schlechter Konjunkturaussichten nervös und fliehen in langfristige Staatsanleihen mit der Folge, dass wegen der fixen Zinsen die Renditen mit dem Steigen der Kurse sinken. Das führt zur sogenannten inversen Zinskurve, also dazu, dass die Zinsen kurzfristiger Anleihen die der langfristigen übersteigen. Das wiederum lässt den Goldpreis steigen – und führt Goldbesitzer in Versuchung. Große Besitzer in große Versuchung. Die Zentralbanken geben den Goldpakt auf. Das Abkommen sollte Verkäufe koordinieren, damit nie mehr als 400 Tonnen auf den Markt geworfen werden und Preisstürze auslösen. Aber seit dem 28. Juli sehen die Zentralbanken keine Notwendigkeit mehr, den Markt für Gold zu stabilisieren.


Am Dienstag, den 17. September, wurde gemeldet: dem sogenannten Repo-Markt, der dazu dient, den Banken, Wertpapierhäusern und Hedgefonds kurzfristig Bargeld zur Verfügung zu stellen, stellte die US-amerikanische Zentralbank 53 Milliarden Dollar zur Verfügung und legte am Mittwoch noch mal 75 Milliarden Dollar nach. Grund: den Banken und Wertpapierhäusern drohten Liquiditätsengpässe. Die Zinsen, sonst zwischen 2 Prozent bis 2,25 Prozent, erreichten innerhalb von Stunden 10 Prozent. Federal Reserve musste mit Liquiditätsspritzen helfen.

Es wundert nicht, dass auch die Kämmerin der Stadt Köln in ihrer Haushaltsrede angesichts der Rezession einige Vorbehalte bezüglich der Planungssicherheit macht.


Walters Referat über Kulturpolitik heißt: Kultur tut Not! Da kommt auch das Opernhaus vor. Das ist in Köln, was für Berlin der Flughafen BER in Schönefeld ist. Die Sanierung und der Neubau der Bühnen am Offenbachplatz werden noch mindestens bis zum Jahr 2023 dauern. Kosten steigen wahrscheinlich auf 841 Millionen Euro, dazu kommt noch der Rückumzug 2023.


Die erste Premiere im neuen Opernhaus war schon für November 2015 versprochen. Mehrfach mussten die Architekten aber umplanen, weil die Bausubstanz aus dem Jahre 1953 maroder sei, als vorher gedacht. Teurer wird es aber auch, weil viel neue Technik in die denkmalgeschützten Gebäude eingebaut wird. Dabei sind aber offensichtlich große Fehler gemacht worden, wie unser Genosse Volkmar ausführlich in einem, leider schriftlich nicht vorliegendem Referat, ausführte. Kabelschächte versperren den Einbau der Brandschutztechnik, Lüftungsklappen lassen sich nicht öffnen, Türen gehen nicht auf.


Klaus spricht zum Thema: Recht auf gutes und bezahlbares Wohnen in der Stadt. Und geht es um die Durchsetzung einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG). Für die Grünen hat Jan Kunert ein NWG-Konzept entwickelt, für die Linkspartei Andrej Holm. Aber zur Durchsetzung fehlen die Wohnungsgesellschaften, die soziale Vorgaben erfüllen, auf Gewinne verzichten und als Gemeinnützige im Gegenzug Steuerbefreiungen in Anspruch nehmen würden. So aber bleibt es dabei, dass mehr geförderte Wohnungen aus der Bindung herausfallen als neue Sozialwohnungen entstehen. Ein wichtiger Hebel wären Wohnungen in öffentlicher Hand. Gerade die sind nach 1990 in einer Größenordnung von über eine Million privatisiert worden. Der Markt löst die Probleme nicht, sondern verschärft sie.


Kurz nach 18.00 Uhr verlassen wir diese revolutionäre Stätte, um uns in der Jugendherberge einzuchecken, die Betten zu beziehen, Gepäck abzuladen und das Abendessen einzunehmen. Danach geht es ins Toussaint, wo uns Axelle das lokale Bier der Marke Curtius serviert. Sie versorgt uns aber auch mit weiteren jugendgefährdenden Bieren von hoher Drehzahl. Julien und Hadrien von der PCB sind dabei, ab und an geht es um Reform und Revolution. Etwa so: Darf ich als Kommunist gegen mein Berufsverbot kämpfen, womöglich gar gewinnen?


Im Laufe des Abends trifft Ottmar ein, der uns am nächsten Morgen über die Aktivitäten von NaBis und anderen Initiativen zur Bonner Straße informieren will. Aber zunächst propagiert er Wilhelm Reich zu unserer Verdutzung und fügt sich auch sonst munter in die Diskussion, bevor sie spät erst ins Fahrige abgleitet.


Am nächsten Morgen ist das Thema Verkehrswende dran. Ottmar äußert sich ausführlich über den Kampf um den Baumbestand in der Raderberger Brache. Das war 2004. Solche Erfahrungen werden nützlich, als sich im November 2015 Bürgerinnen und Bürger aus dem Kölner Süden treffen, um die unsinnige Umgestaltung der Bonner Straße zu verhindern. Es entsteht sogar ein Bündnis mit den gut situierten Bürgern von Marienburg. Sie kommen für Flugblätter und Fachtagungen auf. Vergeblich. Trotz der Initiative gegen Planungsirrsinn (siehe Flugblatt) werden 300 Bäume im Oktober 2017 gefällt. Vorwand: Es dränge die Zeit, weil des Gemeindefinanzierungsgesetz im Dezember 2019 auslaufe. Die Stadt Köln kann ihre Pläne durchsetzen. Die Bonner Straße präsentiert sich unterdessen als Wüste.


Auf das Thema Klima und Energiepolitik haben sich Raimund und Wolfgang vorbereitet. Raimund entwickelt die Idee von Speicherpumpwerken im Braunkohlerevier. Zuvor sollte aber berücksichtigt werden, dass die Erzeugung von Windenergie durch den erneut vorgeschriebenen Mindestabstand von 1500 Meter zwischen Windenergieanlange und Wohngebieten erheblich verringert wird. Diese Maßnahme hatte Andreas Pinkwart (FDP), kaum war er Wirtschafts- und Energieminister der neuen Landesregierung, schon im Sommer 2017 angekündigt. Am 12. Juli 2019 trat sie gesetzlich in Kraft. Unterdessen ist durch die hohen Mindestabstände im ersten Halbjahr der Ausbau der Windkraft an Land fast zum Erliegen gekommen. Dieser Effekt war indessen erwünscht. In Nordrhein-Westfalen hatte schon mal eine schwarz-gelbe Landesregierung, kaum war sie im Jahr 2005 gewählt, den Mindestabstand von 500 m auf 1500 m erhöht. Schon damals brachte sie damit den Bau von neuen Anlagen fast auf Null. Erst nach einem neuerlichen Regierungswechsel wurde das anders. Die rot-grüne Landesregierung nahm im Juli 2011 mit einem neuen Windenergieerlass den Fuß von der Bremse. Jetzt sind die Pudel von RWE wieder dran.


Es ist schon spät. Die Aussprache zum Thema Energiepolitik leidet unter Zeitmangel. Zudem können wir uns nicht bei allen Forderungen einigen. Beispielsweise sind wir gegen CO2-Emissionen und den Handel damit, gegen die CO2-Bepreisung - aber was soll mit dem billigen Kerosin geschehen? Die Diskussion darüber ist dem nächsten Treffen des Arbeitskreises Kommunalpolitik vorbehalten.

 

Text und Fotos: Klaus Stein